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Titanen-Duell bei Tour de France: "Wie Pogacar fährt, das ist manchmal extrem wild"

Titanen-Duell bei Tour de France: "Wie Pogacar fährt, das ist manchmal extrem wild"

Erst hektische Tage in der Normandie und der Bretagne, dann der Showdown im Gebirge: Der Tour de France 2025 liegt das perfekte Drehbuch fürs große Spektakel vor. Dabei kann es nur einen Sieger geben: Superstar Tadej Pogacar. Oder nicht? Der Däne Jonas Vingegaard will den Super-Slowenen zum dritten Mal bei der Frankreich-Rundfahrt knacken. Beide Stars treten mit herausragenden Mannschaften an. Im Interview mit ntv.de spricht Ex-Profi und Buchautor (On the road, seit dem 3. Juli im Handel) Rick Zabel, selbst viermal bei der Tour de France am Start, über die Vorteile beider Fahrer, über eine womöglich falsche Fährte bei der großen deutschen Hoffnung Florian Lipowitz und seinen Ärger über eine Doping-Doku vor dem Start der wichtigsten Rundfahrt der Welt.

Hallo Herr Zabel, es kann vor dem Tour-Start ja eigentlich nur eine Frage geben: Ist Tadej Pogacar zu schlagen?

Rick Zabel: Ich habe leider auch nur den langweiligen Tipp und sage: Wenn nichts schiefläuft, werden wir Tadej Pogacar am 27. Juli im Gelben Trikot in Paris sehen. Ich würde es ihm auch gönnen, ich bin Pogi-Fan. Aber es ist schon so, dass die ersten zehn Tage unangenehm sind für die Top-Favoriten, es wird sehr hektisch, da musst du erstmal ohne Sturz durchkommen.

Beim Blick auf die Etappenprofile wirkt es gar nicht so, als wären die ersten Tage besonders problematisch …

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Ja, auf den ersten Blick wirkt das nach einer klassischen Tour mit Chancen für die Sprinter in den ersten Tagen. Aber wer die Bretagne und die Normandie kennt, weiß, dass es dort nicht leicht zu fahren ist. Du hast dort viele kleine Straßen, manchmal verwinkelt. Es ist auch nicht so flach, wie man vielleicht denkt. Das macht es unangenehm. Und die Tour-Verantwortlichen lassen sich immer etwas einfallen, eine kurvige Anfahrt zum Sprint, einen kleinen Hügel. Wenn ich auf die Gesamtwertung fahren würde, wäre mir auch ein wenig mulmig. Du kannst in den ersten Tagen, bis auf das kleine Zeitfahren, nur wenig gewinnen, aber sehr viel verlieren.

Um das Risiko von Massenstürzen kurz vor dem Ziel zu minimieren, wurde die Drei-Kilometer-Regel auf fünf Kilometer ausgedehnt, das klingt nach einer guten Idee.

Ja, das ist ein großer Schritt für die Sicherheit der Fahrer, denn es entzerrt den Stress in der finalen Phase. Ich selbst war ja früher Anfahrer für die Sprinter, da war es schon nervig, wenn die Teams für die Gesamtwertung bis zum Schluss mit reingehalten haben. Man wünscht sich ja, dass die Topfavoriten sich in den Bergen oder im Einzelzeitfahren batteln und sich nicht durch doofe Stürze frühzeitig aus dem Rennen nehmen.

Interaktive Etappenkarte: Klicken Sie auf die Etappennummern für eine Beschreibung.

Kartendaten/Abbildungen: © letour.fr

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Sie haben gerade gesagt, dass Sie Pogacar-Fan sind. Was fasziniert Sie so an ihm?

Mir imponiert einfach sehr, dass er sich das ganze Jahr über zeigt und nicht nur die Tour fährt. Es hat selten so einen Rennfahrer gegeben, der die Grand Tours gewinnen kann und die Klassiker. Er hat einfach richtig Bock auf Radsport. Er ist da anders als Jonas Vingegaard, der so der typische Gesamtwertungsfahrer ist wie früher ein Lance Armstrong. Außer bei der Tour sieht man ihn sonst kaum. Pogacar dagegen ist das ganze Jahr präsent und strahlt dabei so eine wahnsinnige Lockerheit aus. Er sieht so frisch aus, ist immer für einen lockeren Spruch oder eine coole Geste zu haben. Ich kann aber auch verstehen, wenn man das nicht mag. Ich persönlich mag aber diese Rockstar-Typen, die die Showbühne nutzen. Sie sind mir sympathischer als diese Eisblöcke, an denen man nichts ablesen kann.

Und Vingegaard ist so ein Typ?

Er ist sehr geradlinig. Seine Interviews sind sehr erwartbar, er steht nicht gerne im Rampenlicht. Er ist ein sehr akribischer Sportler, kämpft verbissen für den Sieg. Er zieht sich häufiger mit seiner Familie zurück. Das ist ja auch sehr bodenständig und sympathisch. Aber er ist dadurch nicht so nahbar wie ein Pogacar, der in den sozialen Medien auch viel Privates zeigt. Was aber klar ist: Beide sind klasse Rennfahrer.

Gibt es denn etwas, das im Duell um die Gesamtwertung für Vingegaard spricht?

Er kommt aus einer anderen Position als Pogacar. Das könnte ihm helfen. Fast jeder rechnet damit, dass Pogacar die Tour gewinnt. Er hat einfach eine verblüffend starke Form, das ganze Jahr läuft schon für ihn. Sollte es Vingegaard aber gelingen, ein paar Nadelstiche zu setzen - eventuell im Hochgebirge, wo er meiner Meinung nach leichte Vorteile hat - und mal einen kleinen Abstand rauszufahren, könnte das Momentum, das noch klar für Pogacar spricht, kippen. Und dann ist da auch noch die Historie, die ihm helfen kann.

Wie das?

Bei dieser Tour gibt es zwei Schlüsselmomente für Vingegaard. Im Bergzeitfahren hat er Pogacar vor zwei Jahren geknackt und eine Etappe später, am Col de la Loze, brach Pogi komplett ein. Man erinnert sich vielleicht noch daran, wie er sagte: "i’m gone, i’m dead". Dieses Jahr gibt es wieder ein Bergzeitfahren und es geht auch wieder zum Col de la Loze. Vingegaard wird bei diesen Etappen sicher mit Selbstvertrauen am Start stehen.

Und Pogacar, den beschäftigt das noch?

Ja, ich denke, er wird das auf jeden Fall noch im Hinterkopf haben. Aber es ist auf jeden Fall eine spannende Frage, wie er damit umgeht. Geht er mit Respekt und Vorsicht in diese Etappen oder sinnt er auf Revanche. Er wird auf jeden Fall mit einem selbstbewussten Kontrahenten rechnen müssen. Welche Entscheidung Pogacar trifft, wird aber vor allem von der Tagesform abhängen. Wenn einer einen schwachen Tag hat, wird der andere gnadenlos zuschlagen. Aber Pogi wird sehr darum bemüht sein, dass sich solche Momente nicht wiederholen.

Hat er Fehler gemacht?

Vor zwei Jahren war Vingegaard einfach der stärkere Fahrer, da muss er sich nichts vorwerfen. Aber es ist schon so, dass die Lockerheit, die wir bei Pogacar bewundern, auch eine Schwäche sein kann. Es kommt schonmal vor, dass ihm im Eifer etwas durchrutscht. Einen Hungerast etwa, den werden wir bei einem Vingegaard nie sehen, dafür er ist viel zu fokussiert. Und bei Pogacar kommt auch die Art und Weise hinzu, wie er Rennen fährt. Das ist manchmal extrem wild, wie bei der WM im vergangenen Jahr, als er 100 Kilometer vor dem Ziel attackierte. Da denkst du dir: Das kann doch nicht funktionieren und klappt doch. Aber in diesem Jahr beim Amstel Gold Race ging es eben nicht auf. Er kann sich eigentlich nur selbst schlagen.

Kommen wir zum Faktor Team: Wer hat die stärke Crew an seiner Seite?

Für mich hat Pogi bei UAE das etwas bessere Team mit Joao Almeida, mit Adam Yates, mit Marc Soler, einem Tim Wellens, der in der Form seines Lebens ist, und natürlich Nils Politt, der vor allem auf den Flachetappen sehr wertvoll ist. Das sind so viele Fahrer, die selbst in die Top Ten fahren können, das ist schon bemerkenswert. Aber auch Visma-Lease-a-Bike ist bärenstark, mit Sepp Kuss oder Giro-Sieger Simon Yates. Und dieses Team ist taktisch überragend aufgestellt.

Wie hoch ist eigentlich der Anteil des Teams am Erfolg des Kapitäns?

Das lässt sich natürlich schwer bemessen. Aber ich würde schon sagen, dass ein Typ wie Pogacar die letzten 20 Prozent alleine ausmacht, dass er aber eben auch zu 80 Prozent von der Arbeit seiner Teamkollegen profitiert. Wäre er allein, wäre er auch nicht so stark. Das ist klar. Eine Bergankunft würde er sicher überleben, aber nicht eine ganze Tour. Die wichtige Teamarbeit geht ja schon am Start los, das bekommt man am TV gar nicht so mit. Das Team kontrolliert, wer wegfahren darf und wer nicht. Das Team organisiert das Tempo im Feld. Wenn du ständig alleine im Wind stehst, um Spitzengruppen einzuholen, hast du am Ende keine guten Beine mehr.

Aber wie verändern sich die Helferrollen im Gebirge?

So richtig wichtig sind die Helfer im Gebirge, wenn etwas schiefläuft. Wenn der Kapitän mal einen schlechten Tag oder einen Defekt hat. Eine gerne gewählte Taktik ist aber sonst, einen Mann in die Spitzengruppe zu schicken, der dann nochmal anziehen kann, wenn es zu einer Abfahrt kommt oder in einem Zwischental Tempo gefahren werden muss. Da kann der Kapitän dann versorgen, essen, trinken, Riegel einschieben und muss sich nicht ums Tempo kümmern. Aber wenn es zwischen den Kapitänen so richtig zur Sache geht, kann eh keiner mehr mitfahren.

Wenn wir über die Kapitäne reden, reden wir ja nur über Pogacar und Vingegaard. Kommen Remco Evenepoel und Red-Bull-Anführer Primoz Roglic gar nicht für den Triumph infrage?

Nein, es wird zwar gerne über die drei, vier Favoriten gesprochen. Aber Pogacar und Vingegaard fahren nochmal in einer anderen Liga. Roglic hat zwar letztes Jahr die Vuelta gewonnen, da waren die beiden anderen aber nicht am Start und sein Giro dieses Jahr war nicht überzeugend. Er wird nicht jünger und dadurch auch nicht besser. Bei Evenepoel sieht es etwas anders aus. Beim frühen Einzelzeitfahren setze ich darauf, dass er das gewinnt und womöglich das Gelbe Trikot übernimmt. Das könnte ihn beflügeln. Aber bei der Dauphine-Rundfahrt zuletzt war er in den Bergen schon klar unterlegen im Duell mit Pogacar und Vingegaard. Selbst unsere deutsche Hoffnung Florian Lipowitz war da deutlich stärker. Da war ich schon verwundert, ich hätte Evenepol stärker erwartet, auch weil er im Vergleich zum letzten Jahr nochmal abgenommen hat.

Lipowitz ist ein gutes Stichwort. Er hat zuletzt überragende Leistungen gezeigt und sogar bei den Topstars mitgehalten. Tut sich Red Bull einen Gefallen damit, nicht ihn zum Kapitän zu machen, sondern auf Roglic zu setzen?

Nein, ich denke, das ist schlau so. Und es ist ja auch ein Unterschied, was man in den Medien kommuniziert und was dann wirklich die Taktik ist. Roglic hat den Vorteil, dass er den Stress bei der Tour de France kennt. Lipowitz muss damit erstmal zurechtkommen, aber seine Form ist wirklich außergewöhnlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Red Bull Lipowitz für Roglic opfern würde, sondern dass er intern so eine Art Co-Kapitän ist. Für mich kommt er für eine Top-Ten-Platzierung am Ende absolut infrage, vielleicht sogar für die Top Fünf. Aber es ist auf jeden Fall eine spannende Konstellation mit Roglic. Aber Lipowitz erstmal nicht nach vorne zu schieben, würde ich auf jeden Fall auch so machen. Und dass er womöglich stärker ist, das werden sie bei Red Bull ganz sicher im Hinterkopf haben.

In Ihrem Podcast mit Jan Ullrich haben Sie auch Emmanuel Buchmann für eine Überraschung auf dem Zettel gehabt. Warum eigentlich?

Er ist in guter Form und kann beim Team Cofidis sein Ding machen. Das tut ihm gut. Über ihn wurde bislang nicht viel gesprochen. Das mag er, denn es ist ähnlich wie Vingegaard und steht nicht gerne im Rampenlicht. Bei Red Bull zuvor war das alles einen Tick zu viel, der Druck vom Team, von der Öffentlichkeit, aber auch der Druck, den er sich selbst gemacht hat.

In Ihrem Podcast haben Sie zuletzt auch über die neue Doping-Doku der ARD gesprochen und sich verärgert gezeigt, dass sie wieder vor der Tour de France erschienen ist…

Ja, das befeuert immer wieder diesen Generalverdacht, dass eh alle gedopt sind. Und dass man deswegen die Tour nicht gucken braucht. Das nervt mich. Was mir aber ganz wichtig ist: Es ist auf keinen Fall so, dass wir die Augen vor diesem Thema verschließen sollen. Das wir nicht so naiv sind zu glauben, dass alle sauber sind. Es wird immer Fahrer geben, die die Regeln brechen. Aber unser Sport steht meiner Meinung nach immer mehr im Fokus als andere Sportarten, auch wenn ich für diese Meinung kritisiert werde. Sehen Sie, es ist auch so, es gibt kein Interview, wo es nicht um Doping geht. Um Jan Ullrich oder um meinen Vater. Um alle diese Themen. Irgendwann ist alles gesagt. Was ich aber nochmal mit Überzeugung sagen kann: Es gibt kein systematisches Doping. Das gab es bei keinem Team, bei dem ich war. Und was mir noch wichtig ist: Die Doku ist trotzdem wichtig, aber ich sehe auch Dinge, die mir fehlen.

Was hätten Sie sich von der Doku denn gewünscht?

Der Radsport hat in den vergangenen Jahren eine Menge getan, um das Image zu drehen. Um den Anti-Doping-Kampf vehement aufzunehmen. Da ist das Anti-Doping Administration and Management System (ADMAS), das sehr einschneidend ist, wo wir als Sportler täglich melden müssen, wo wir sind, um für mögliche Kontrollen bereit zu stehen. Dann ist da der Blutpass, den es, soweit ich weiß, nur bei uns gibt. Bei Auffälligkeiten wird sofort reagiert. Und wir werden unabhängig getestet, auch von der WADA.

Nochmal zur Doku, da wurden sehr gute Dinge aufgedeckt. Etwa, dass das Mittel Aicar auf der Dopingliste steht, aber 130 andere ähnliche Substanzen nicht. Oder dass die "Operation Aderlass" bis heute nicht aufgeklärt wurde. Oder dass Blutdoping-Instrument so einfach zu kaufen ist. Das sind alles sehr gut Punkte. Da bin ich voll bei Hajo Seppelt und seinem Team. Aber ich finde eben, dass der Generalverdacht zu stark gefüttert wird. Ich hätte mir da auch die Einordnung eines sauberen Sportlers gewünscht. Wir müssen die Augen aufhalten, völlig klar, aber wir sollten auch mal über die positiven Entwicklungen berichten.

Im Podcast mit Jan Ullrich haben Sie auch gesagt, dass erklärbar ist, dass die Generation der Topfahrer die Rekorde der gedopten Stars von früher knackt. Warum?

Zum einen hat sich das Material deutlich verbessert, und auch die Trainingswissenschaft ist viel weiter als noch vor ein paar Jahren. Aber der absolute Boost für die Leistungen ist die Ernährung, die sich wahnsinnig weiterentwickelt hat. Die Profis wissen genau, dass sie etwa bei 300 Watt pro Stunde, 100 bis 120 Gramm Kohlenhydrate zuführen müssen. Das muss dein Körper erstmal verkraften, da brauchst du ein Magentraining, damit du keine Probleme mit Durchfall bekommst. Aber du musst dir eben diese Drinks reinpfeffern, das ist dein Fuel, dein Benzin.

Mit Rick Zabel sprach Tobias Nordmann

n-tv.de

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